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Reischdorf 1367 - 1946
Aufstieg und Untergang
Franz Dittrich
Ein genaues Gründungsjahr unseres Heimatortes Reischdorf ist nicht bekannt. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß es schon 1367 bestand.
Im Laufe seines Bestehens hat es Höhen und Tiefen erlebt. So hatte es wie viele unserer Nachbargemeinden während der Hussitenkriege (1419 - 1436 ) schwer zu leiden, denn mehrmals zogen die Hussiten plündernd und mordend durch unser Heimatgebiet.
Vom Aufblühen des Erzbergbaues, besonders der Silberbergbaues hatten auch die Reischdorfer Fuhrleute ihren Gewinn. Sie transportierten die Fertigprodukte und schafften die erforderlichen Roh - und Hilfsstoffe herbei.
Doch bald kam neues Leid über unser Land. Die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten führten schließlich zum dreißigjährigen Krieg ( 1618 - 1648 ). Wiederholt fluteten Heerscharen über die Pässe des Erzgebirges. Dabei war es gleichgültig ob es sich um kaiserliche oder um feindliche Truppen handelte. Sie alle plünderten, mordeten und quälten die wehrlosen Menschen.
Auch im siebenjährigen Krieg ( 1756 - 1763 ) wurde Reischdorf zum Durchzugsgebiet von kaiserlichen und preußischen Truppen. Vieh, Getreide und Lebensmittel wurden ohne viel Federlesens der Bevölkerung von beiden Seiten abgenommen.
Dazu kamen die ständigen Vorspanndienste.
Frondienst und Robotarbeit verwandelte die Bauern zu Sklaven. Nach herrschaftlichen Robotverzeichnis waren in Reischdorf 72 Bauern robotpflichtig.
Einen Lichtblick brachte Kaiser Josef II. 1781 hob er die Leibeigenschaft auf und verringerte die Robottage.
Doch bis zur endgültigen Bauernbefreiung dauerte es noch Jahrzehnte. Daß sie kam, hatten die Bauern vorallem Hans Kudlich zu verdanken. Als einer der jüngsten Abgeordneten im Wiener Reichstag forderte er die Aufhebung der Untertänigkeit. Noch im selben Jahr wurden die Bauern endlich Herren auf der eigenen Scholle.
Hans Kudlich beteiligte sich im Oktober 1848 an den Wiener Aufstand. Er mußte fliehen und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Über die Schweiz ging er nach Amerika und starb dort 1917.
Bis in die Mitte des vorigen (19.) Jahrhunderts gab es immer wieder Zeiten großer Not, teils durch Mißernten oder weil die Verdienstmöglichkeiten ausfiehlen. So z.B., als in den vierziger Jahren der Absatz der Klöppelspitzn ins Stocken geriet.
Vom Dezember 1839 bis März 1840 wurde Reischdorf von eiem epidemischen Neverfieber heimgesucht. 33 Menschen fielen der Seuche zum Opfer.
Als Engel in der Not zeigte sich Gräfin Gabriele von Boquoy, die 1832 die kaiserliche Herrschaft Preßnitz erworben hatte. Sie verteilte Brot in großen Mengen und richtete Suppenküchen ein.
Große Veränderungen brachte das Revolutionsjahr 1848.
Durch die Verfassung wurden Untertanen zu Staatsbürgern.
1850 fanden die ersten Gemeindwahlen statt. Der erste gewählte Gemeindevorsteher ( Bürgermeister ) von Reischdorf war Franz Köhler, Nr. 144.
Die Gerichtsbarkeit und Vorrechte des Adels wurden aufgehoben. Das Dorfgericht von Reischdorf verschwand.
Es wurden Gerichtsbezirke geschaffen.
Allmählich verbesserten sich die Verkehrswege. Schon 1823 wurde die "alte Straße" bis Kretscham gebaut und dann bis Laucha velängert.
Große wirtschaftliche Bedeutung hatte der Bau der Eisenbahn. 1869 wurde mit dem Bau der Linie Komotau-Weipert begonnen. Schon am 29. Dezember 1871 fuhr die erste Lokomotive durch unseren Bahnhof. Am 1. August wurde die gesamte Strecke dem Verkehr übergeben. Gemau am selben Tage wurde auch die Linie Weipert-Annaberg eröffnet.
1872 erhielt Reischdorf ein eigenes Postamt.
Die Zunahme der Bevölkerung erforderte die Errichtung einer zweiten Schule. Sie wurde 1874 erbaut. Die obere Schule wurde in der uns bekannten Form 30 Jahre früher errichtet.
Bis 1874 befand sich der Friedhof bei der alten Kirche.
Unser altehrwürdiges Kirchlein hatte seinen Ursprung im 15. Jahrhundert. Mit ihr verbindet sich die Persönlichkeit von Pfarrer Josef Zumpfe, der 40 Jahre als Pfarrer in Reischdorf wirkte.
Die neue Kirche wurde am 14. September 1939 eingeweiht.
Ein besonderes Ereignis war die Erhebung des Dorfes zum Marktflecken. Reischdorf hatte nun das Recht einen Jahrmarkt abzuhalten. Im September 1901 fand der erste Jahrmarkt statt.
Die Gemeindefinanzen müssen damals gut gewesen sein, denn 1906 wurde im unteren Ortsteil ein Rathaus errichtet. Doch kaum vier Jahre später erfolgte der Bau eines zweiten Rathauses. Seine Kosten lagen um 40.000 Kronen über den Kosten des ersten Gebäudes. Das zuerst errichtete Gebäude diente dann als Armenhaus.
1911 wurde der untere und der mittlere Ortsteil mit einer Wasserleitung versehen. Die Elektrifizierung des Ortes erfolgte 1921.
Nun kommt der Zeitabschnitt, den noch viele Landsleute aus eigenem Erleben kennen. Als Kinder oder Jugendliche erlebten sie den Ersten Weltkrieg und sein bitteres Ende.
Dann kam die Tschechenherrschaft.
Gegen ihren Willen wurden die Sudetendeutschen dem tschechischen Staat einverleibt. Von Anfang an wurden sie in ihrer völkischen und wirtschaftlichen Existenz bedroht. Die später ständig steigende Arbeitslosigkeit der Sudetendeutschen führte zu Not und Elend. Die tschechische Regierung unternahm nichts, um den wirtschaftlichen Verfall der Deutschen Einhalt zu gebieten. In Gegenteil, durch Verlagerung von Industrie in das Innere Böhmens verschärfte sie den Zustand.
Nur vereinzelt haben tschechische Politiker auf diesen unhaltbaren Zustand hingewiesen.
Der Anschluß des Sudetenlandes an das Deutsche Reich brachte das Ende der Not und der Demütigungen. Es gab wieder Arbeit und Brot.
Schon bald zogen neue Schatten üver Europa. Der Zweite Weltkrieg begann. Am Ende waren Millionen von Opfern zu beklagen. Unsere Heimat hatte mindestens 145 Gefallene und Vermißte zu verzeichnen.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges war gleichzeitig der Beginn des Unterganges unseres Heimatortes.
Am 21. Mai 1945 wurde Reischdorf von den Tschechen besetzt.
Die ankommenden Tschechen übertrafen ihre Hussitischen Vorfahren um ein Vielfaches. Schon im Juni 1945 fielen ihrer Mordgier elf Landleute zum Opfer.
Zwangsarbeit und unmenschliche Strafen waren alltäglich. Sie trieben die Menschen aus ihren Wohnungen und nahmen was ihnen gefiel.
Schon bald begannen die ersten Vertreibungen. Zunächst waren es Einzelpersonen und Familien. Innerhalb von Minuten mußten sie ihre Wohnungen oder Häuser verlassen. So wie sie liefen oder standen, ohne die geringste Habe wurden sie über die nahe Grenze getrieben.
Im März 1946 begann die Massenvertreibung. Mit der Vertreibung der letzten Deutschen begann der Verfall unseres Dorfes. Die Häuser wurden ausgeraubt und geplündert. Türen und Fenster eingeschlagen, so daß Wind und Wetter das von den Tschechen begonnene Verichtungswerk vollendeten. Die Häuser verfielen zusehends und wurden schließlich dem Erdboden gleichgemacht.
Reischdorf bestand 600 Jahr!
Was Generationen in sechs Jahrhunderten in schwerer Arbeit errichteten, wurde in wenigen Jahren für immer vernichtet.
Abschrift: Gerd Renner 11.01.2007